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Blutige Nase im Endspiel oder im Freundschaftsspiel? Eindrücke von der zweiten Karlsruher Verhandlung im OMT-Verfahren

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Man soll Symbolik ja nicht überbewerten. Aber dass gerade eine blutige Nase des Berichterstatters Peter M. Huber dafür sorgte, dass die zweite mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über das Outright Monetary Transactions (OMT) Programm der EZB erst mit eineinhalb Stunden Verspätung beginnen konnte, entbehrte nach dem bisherigen Verlauf der Dinge jedenfalls nicht einer gewissen Ironie.

Zur Erinnerung: zahlreiche anhängige Verfassungsbeschwerden und ein Organstreit gegen praktisch sämtliche Rettungsmaßnahmen von EU, Eurozone und Mitgliedstaaten waren im Herbst 2012, nachdem die auf einer Investorenkonferenz von EZB-Präsident Mario Draghi gesprochenen, mittlerweile legendären Worte „whatever it takes“ am 6. September 2012 von der EZB mit einer Presseerklärung über einen EZB-Ratsbeschluss über Technical Features of Outright Monetary Transactions unterfüttert worden waren, auf diese „Maßnahmen“ erstreckt worden – obwohl das BVerfG zum Vorgängerprogramm SMP (Securities Markets Programme) noch geurteilt hatte, es entziehe sich als Handlung eines EU-Organs seiner Jurisdiktion.

Das BVerfG hatte diesen Teil des Verfahrens im Dezember 2013 abgetrennt und im Januar 2014 dem Gerichtshof Fragen nach der Rechtmäßigkeit der OMT vorgelegt, wobei das Gericht in seinem zurecht scharf kritisierten Beschluss deutlich gemacht hatte, dass es die OMT für eine Kompetenzüberschreitung der EZB halte, die die Honeywell-Kriterien erfülle, und die überdies auch das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 AEUV) verletze. Der Gerichtshof hatte das bekanntlich im Hinblick auf die zentralen Aspekte des Programms – Selektivität und ex-ante-Unbegrenztheit des Erwerbs von Staatsanleihen – anders gesehen und den OMT-Beschluss (bzw. dessen Ankündigung) für unionsrechtskonform erachtet, ohne dass es hierfür einer vom BVerfG vorgeschlagenen „europarechtskonformen“ Auslegung des OMT-Programms bedurft hätte.

Nun also der „Showdown“ in Karlsruhe, oder in den Worten eines Klägervertreters das „Endspiel“, dem der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jens Spahn den Wunsch nach einem „Freundschaftsspiel“ im Rahmen des Kooperationsverhältnisses entgegensetzte. Die Verhandlungsgliederung des Zweiten Senats, der dann aber lediglich im Hinblick auf die Trennung von Zulässigkeitsfragen und Begründetheitsfragen streng gefolgt wurde, hatte die Probleme des Verfahrens hinreichend angedeutet: Welche Zulässigkeitsanforderungen für welche Rügen? Wie mit dem EuGH-Urteil umgehen? Welche Konsequenzen für Ultra-Vires- und Identitätskontrolle? Welche Folgen eines Urteilsspruchs für die Antragsgegner (Bundesregierung und Bundestag)?

Dass es auf keine dieser Fragen sich unmittelbar aufdrängende Antworten gibt, machte die bisweilen in jovialer Seminaratmosphäre geführte Verhandlung, die gelegentlich von polemischen Ausfällen insbesondere auf Klägerseite unterbrochen wurde, allzu deutlich. Schon die Frage nach den konkreten Antragsgegenständen bereitete Schwierigkeiten, insbesondere mit Blick auf die gerügte Untätigkeit des Bundestages. Ungleich schwieriger stellte sich aber die Festlegung des Maßstabes für die Antrags- bzw. Beschwerdebefugnis dar, weil diese doch im Wesentlichen davon abhängt, wie sich Ultra-Vires- und Identitätskontrolle zueinander verhalten.

Dass nicht jeder noch so geringfügige Kompetenzverstoß wegen der damit einhergehenden Verletzung des Demokratieprinzips sowohl ultra vires als auch ein Einbruch in die Verfassungsidentität sein kann, sollte sich eigentlich von selbst verstehen, will man die Ultra-vires-Kontrolle nicht einem ähnlichen Schicksal zuführen wie es der Zweite Senat jüngst mit der Grundrechtskontrolle gemacht hat. Problematisch ist diese Frage insbesondere deshalb, weil die Identitätskontrolle an sich für die Kontrolle von Kompetenzübertragungsakten entwickelt wurde (nimmt man einmal die Identitätswurzeln der Grundrechtskontrolle in der Solange-Rechtsprechung aus), und gerade nicht für die Kontrolle der übertragenen Kompetenzen. Eine Identitätsverletzung durch die EU muss aber andererseits zwangsläufig immer ultra vires erfolgen, weil der deutsche Gesetzgeber einer potentiell legitimierenden Kompetenzübertragung im Identitätskernbereich nie zustimmen konnte. Auf die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts darf man jedenfalls sehr gespannt sein.

Die Erörterung der Begründetheitsfragen förderte wenig Neues zutage. Keine Einigung konnte über die Frage erzielt werden, ob die OMT-Ankündigung hinreichend klar mache, dass das als Voraussetzung geforderte makroökonomische Anpassungsprogramm unter EFSF oder ESM auch Primärmarktkäufe seitens dieser Institutionen umfassen müsse, was in der Konsequenz bedeuten würde, dass OMT ohne eine vorherige Befassung des Bundestages mit selbigem Programm nach dem ESMFinG niemals stattfinden könnten. Die diesbezügliche Exegese der englischen Fassung der Pressemitteilung der EZB vom 6. September 2012 durch Gericht und Verfahrensbeteiligte und die wiederholte Belobigung eigener Englischkenntnisse entbehrte mitunter jedenfalls nicht einer gewissen Komik. Dabei gelang es leider nicht, evidente Falschbehauptungen von Seiten der Antragsteller dahingehend, dass ein Precautionary Programme und eine Primärmarktfazilität des ESM keinem Zustimmungserfordernis im Bundestag und keinem Anpassungsprogramm unterlägen, zu widerlegen (vgl. §§ 12 II, 13 II, 14, 17 ESMV und §§ 2, 4 ESMFinG).

Eher Erstaunen löste der Umstand aus, dass selbst auf Seiten der Antragsgegner deren Prozessvertreter mitunter etwas leichtfertig zu konzedieren schienen, das OMT-Programm sei eben eigentlich doch keine Geldpolitik, jedenfalls keine lupenreine, löse Unbehagen aus und die proklamierte eingeschränkte gerichtliche Kontrolle der EZB sei unbefriedigend. Man mag über die Frage ja trefflich streiten, aber die Literaturstimmen, die die Auffassung des Gerichtshofs diesbezüglich teilen, waren in Deutschland vor der OMT-Vorlage sogar eher in der Überzahl, ein Umstand, über den auch das BVerfG beiläufig hinweggegangen war.

Befremdlich war die Art und Weise des Umgangs mit dem Gerichtshof, seiner Methodik im Allgemeinen und dem OMT-Urteil im Speziellen. Dass die Klägerseite hier grobe Methodenwillkür erkennen will, das Verlassen jeglicher europäischer Standards, ist vorhersehbar. Dass aber sowohl die Prozessvertreter der Antragsgegner als auch das Gericht in unterschiedlicher Klarheit die Überlegenheit der jeweils eigenen, also der deutschen Methodik gegenüber der des Gerichtshofs zum Ausdruck brachten, überraschte dann doch, zumal ja gerade der Vorlagebeschluss im fraglichen Verfahren zu der zur Schau getragenen Methodenarroganz keinerlei Anlass gibt. Ungeachtet der konstatierten methodischen Defizite habe der Gerichtshof allerdings – so der fast schon absurd anmutende Befund des Gerichts – seine Bedenken und Kautelen „in anderem Gewand“ als einer europarechtskonformen Auslegung übernommen!

Was ist nun also von der Entscheidung des BVerfG zu erwarten? Wohl keine Feststellung, das EuGH-Urteil selbst sei ein Ultra-Vires-Akt, womit aber der Vorwurf, die EZB habe mit OMT ihre Kompetenzen überschritten, notwendig entfällt, weil der Gerichtshof in dann bindender Judikatur das Gegenteil festgestellt hat. Bleibt die Frage der möglichen Identitätsverletzung, die allenfalls noch in einer Beeinträchtigung der Haushaltsautonomie des Bundestages liegen könnte. Diese ist aber nur sehr vermittelt (über fehlende Gewinne der Bundesbank, kaum über eine Nachschussverpflichtung des Bundes für die Bundesbank im Rahmen einer Anstaltslast) und auch nur in überschaubarem Umfang (ca. 2,5 Mrd. Euro pro Haushaltsjahr) tangiert.

Also viel Lärm um nichts? Auch wenn man sich dafür ein wenig aus dem Fenster lehnen muss, so scheint doch vorstellbar, dass das Gericht seine Rechtsprechung zur Integrationsverantwortung um ein weiteres Element bereichern wird: eine als Minderheitenrecht ausgestaltete Befugnis des Bundestages, über Art. 23 Ia GG hinaus Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 I, II AEUV vor dem Gerichtshof wegen Kompetenzverletzungen zu erheben. Das hätte eine gewisse innere Logik und läge auf der Linie, dass Kompetenzausweitungen nur mit Zustimmung des Bundestages vonstattengehen dürfen. Zugleich würde hiermit der lästige Streit erledigt, ob die Subsidiaritätsklage auch die Rüge einer gänzlich fehlenden Kompetenz der Union zulässt oder nicht. Art. 263 I, II AEUV stellt nur darauf ab, dass ein Mitgliedstaat klagt. Zur Frage, wer innerstaatlich das diesbezügliche Auslösungsrecht besitzt, verhält sich die Norm nicht.

Andere mögliche Urteilsaussprüche wie z.B. eine Befassungspflicht des Bundestages mit behaupteten Kompetenzüberschreitungen blieben dann doch eher symbolhaft, auch wenn der Senat hier einen gewissen Glauben in die legitimatorische Kraft solcher Debatten erkennen ließ. Wie auch immer die Lösung des Gerichts hier aussehen wird, sie wird sich voraussichtlich auf den Maßstabsteil beschränken. Dass Bundestag und Bundesregierung tatsächlich die Verfassung verletzt haben sollen, als sie gegen die OMT-Ankündigung der EZB nicht klagten – dass sie sich damit gar nicht beschäftigt hätten, lässt sich nun wirklich nicht behaupten – obwohl sie unter Berücksichtigung der späteren Feststellung des Gerichtshofs, dass OMT europarechtskonform ist, davon ausgehen durften, das Programm sei rechtmäßig, wird das Gericht kaum feststellen können. Antragssteller (und Gericht) werden sich trotzdem feiern und sich auf die Fahnen schreiben, sie hätten überhaupt erst bewirkt, dass eine rechtliche Bindung und gerichtliche Kontrolle der EZB in geldpolitischen Fragen gerichtlich festgestellt worden sei. Dies hat aber jedenfalls seit der OLAF-Rechtsprechung des Gerichtshofs (und vor dem Hintergrund des insoweit ohnehin klaren Art. 35 EZB-Satzung, den das BVerfG schlicht übersehen hat) auch niemand ernsthaft bestritten.


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